Finnland mit Bären und Vielfraßen – Grenzübertritt nach Russland – von Hässlichkeit zu Schönheit
Nach unserem Frühstück bei Denise ging es gleich wieder auf die Straße – Kilometer fressen. Die Strecke war recht übersichtlich. Tagesziel war es Finnland zu durchqueren, kurz vor der russischen Grenze ein Nachtlager aufzuschlagen und dort unsere Tagesaufgabe, das Viking-Timber-Fire zu entzünden, zu schaffen. Auch in Finnland erwarteten uns ewige unbesiedelte Landstriche. Die Kommune, die wir durchquerten (es gab nur eine) war größer als Thüringen und hat insgesamt so viele Einwohner wie Holm-Seppensen. Aber der Weihnachtsmann soll hier wohnen. Allerdings führte keine Straße zu seinem Haus, so dass wir ohne vorzeitige Geschenke durch Lappland hindurchfahren mussten.
Einen kurzen Zwischenstopp legten wir beim Samen-Museum ein, wo wir auch die Möglichkeit bekamen uns mit drei samischen Damen in Tracht ablichten zu lassen. Schnell die „Hauptstadt“ Ivalo passiert, kurz ein paar Besorgungen und ab in Richtung Russland. Ca. 20 Kilometer vor der russischen Grenze schlugen wir dann am Flüsschen „Lotta“ unser Nachtlager auf. Ein schöner Ort! Die Baumstämme von Denise ermöglichten uns dann unser Viking-Timber-Fire aufzuschichten – Prüfung bestanden – Höckel/HoSe 40 Points !
Die Gegend insgesamt ist traumhaft. Viel unberührte Natur, in der es noch wild lebende Wölfe, Bären und Vielfraße gibt. „Was ist eigentlich ein Vielfraß“ fragten wir uns. Wikipedia konnte es uns beantworten. Lest es mal nach. Wir waren froh, so einem Kollegen in dieser Nacht nicht begegnet zu sein.
Da wir eigentlich kein rohes Fleisch mit nach Russland nehmen durften, schmissen wir an diesem Abend eine kleine Grillparty zu der wir zwei schwäbische Teams einluden. Wir stellten fest, die Vielfraße saßen bei uns am Tisch. Merke: Der Schwabe ist sparsam und ist gern viel, so denn er eingeladen ist. Sei es drum. Hauptsache unser gutes Grillfleisch von Jens Harms landet nicht bei den russischen Grenzern auf dem Mittagstisch. Wir hatten wieder einmal einen gelungenen Abend an einem großartigen Ort, an dem das Fußballspiel Deutschland-Schweden fast keine Rolle spielte.
Am nächsten morgen ging es dann weiter zur russischen Grenze zum Grenzübergang Raja-Jooseppi mitten in der Pampa. Woher der Übergang seinen Namen hat bleibt im unklaren, Häuser oder einen Ort gibt es da nämlich nicht. Wir rechneten mit allem Möglichen aber wieder einmal kam es anders. Nachdem wir einmal auf finnischer und einmal auf russischer Seite unsere Pässe und Papiere zeigen mussten kamen wir auf die Haupt-Kontrollspur. Aussteigen, ab in die Kontrollstelle, Pässe abgeben. Das dauerte dann. Christians Pass erschien der Grenzerin sehr verdächtig. Fenster wieder zu, Funkspruch, Telefonat, Kollege holt Pass ab, bitte warten, warten, warten. Nach ca. 40 Minuten entschlossen sich die beiden Grenzprofis dann doch dazu, dass an diesem Pass doch nichts auszusetzen sei. Dann Formulare, weil Erika quasi auch eine Art Visum braucht. In Formularen stehen uns die Russen in nichts nach, alles doppelt mit Durchschlag sozusagen. Leider haben die dort aber kein Blaupapier oder ähnliches, was dazu führt, dass man alle Formulare doppelt ausfüllen muss. Verschreiben und durchstreichen ist streng verboten. Das eine Formular hat Christian dann geschlagene vier Mal ausgefüllt, bis es dem Schönschreibgeneral dann auch gefiel. Ordnung muss sein, in Russland zu mindest an der Grenze. Die erste Stunde Grenzkontrolle war dann auch schon rum.
Jetzt zur Gepäck- und Fahrzeugkontrolle. Das Auto wurde von einem sehr freundlichen Grenzbeamten grob durchgesehen, einen Teil der Ladung mussten wir ausräumen. Bei Erika wollte er noch mal kurz unter die Haube schauen, wir vermuten, dass er einfach unser Auto so toll fand. Die Kontrolle war relativ zügig durch und für die genauen Mengen Zigaretten oder Lebensmittel wie rohes Fleisch usw. hat sich der Beamte eigentlich nicht wirklich interessiert. Interessant fand er lediglich das Dosenbier. „Give me two beer for a present“ war dann seine Ansage. Jörg legte noch eine Packung „Fritt“ für die Kinder oben drauf und glücklich war der Grenzer, wir durften weiter zu einer weiteren Passkontrolle, der vierten.
Da hatten wir nun mit allem gerechnet, Bestechungsgelder in Euro, Dollar oder Rubel. Für zwei Dosenbier sind wir doch günstig durchgekommen. Was soll er auch machen der arme Grenzer. Der nächste russische Ort ist gut 200 Kilometer entfernt. Und so kommt er wenigstens abends zu seinem Feierabendbier. Das Team nach uns sollte auch zwei Dosen abgeben. Aber die Ossis waren geizig und haben den armen Mann mit einer Dose abgespeist. Die alte bruderstaatliche Connection funktioniert wohl noch.
Nun ab auf die Straße nach Murmansk, welche übrigens immer entlang der „Lotta“ und den Flüssen, in die sie mündet, führte. Die Straße war größtenteils ein Alptraum. Das tückische: Sie sah meist gut befahrbar aus, aber immer lauerten Schlaglöcher, Bodenwellen und Abrisskanten darauf, das Fahrwerk unserer Erika zu zerlegen. Wir mussten höllisch aufpassen. Die ein oder andere Vollbremsung vor dem ein oder anderen Hindernis ließ sich nicht vermeiden. Aber wir mussten da durch. Einen anderen Weg nach Murmansk gab es nicht. Und so ruckelten und juckelten wir in einer Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 50 km/h 150 km durch russisches Niemandsland. Ca. 30 Kilometer hinter der Grenze hatten die Russen dann gleich noch einen Kontrollpunkt eingeführt. Passkontrolle die Fünfte.
Und dann signalisierte Erika, dass sie nicht einverstanden war, mit dem was wir ihr da antun. Aber sie tat es auf ihre liebevolle Weise. Sie ließ einfach das Beifahrerfenster unten. Das hieß für uns, anrufen bei Werners 24-Stunden-Notrufhotline und fragen was wir tun können. Leider war ein defekter Schalter für den „elektrisch bediende raammmechanismen“, wie die Fensterheber in der holländischen Bedienungsanleitung heißen, nicht die Ursache. Daher mussten wir die komplette Türverkleidung abbauen, die Scheibe aus der Verankerung lösen um diese mit Kabelbindern und Panzerband in geschlossenem Zustand zu fixieren. Willkommen in Russland, hier improvisiert der Laie noch selbst.
Die Straße wurde erst besser als wir die erste Ortschaft nach der Grenze erreichten. Aber auch nur so lange, bis wir nach Murmansk kamen. Um es gleich zu sagen, Murmansk ist eine der hässlichsten Städte die wir bislang je gesehen haben. Heruntergekommen istgar kein Ausdruck. Mieseste Schlaglöcher auf Hauptverkehrsstraßen sind, wenn überhaupt, mit Ziegelsteinen! geflickt. Die früher mal halbwegs schicken Häuser, gleichen nunmehr Ruinen und abgeranzte Plattenbauten prägen das Stadtbild. Die Stadt schrie uns förmlich an, dass wir bloß schnell wieder verschwinden sollen.
Die Verkehrsführung in Murmansk ist undurchsichtig bis zum geht nicht mehr. Straßenmarkierung Fehlanzeige und Ausschilderungen gibt es (wenn überhaupt) nur auf kyrillisch. Dementsprechend war der Verkehr. Katastrophal. Und dabei war Sonntag. Dafür haben sie aber überall ganz moderne LED Ampeln mit Sekundenzählern. Dummerweise gibt es teilweise keine Unterscheidung zwischen Fußgängerampeln und denen für den fließenden Verkehr – die sehen alle gleich aus. Was dann auch zu einem lauten Hupkonzert des Querverkehrs führte, als Jörg bei Fußgängergrün links abbog.
Nach einiger Zeit und ein bisschen Rumgefrage, haben wir dann auch unser Tagesziel im Hafen von Murmansk gefunden. Die Lenin. Der weltgrößte nuklearbetriebene Eisbrecher, der noch immer groß und stolz mit der Sowjetflagge bemalt ins Polarmeer aufbricht. Uns wird klar: Hier ist die Zeit stehen geblieben. Unsere Beeindruckung hielt sich insgesamt in Grenzen. Schnell das Beweisfoto geschossen und raus aus dieser Vergangenheitsruine.
Unser Weg führte uns von Murmansk 230 km südlich in die Region der Stadt Kandalaksa. Hier befindet sich das Weiße Meer, ein riesiger See, der mit der Barentssee verbunden ist. Nach einigem, sicher planlosen Suchen (denn wir wussten ja nicht, was auf den paar Schildern steht) haben wir endlich einen Küstenzugang gefunden. Und was sollen wir sagen. Wir haben wieder einmal alles richtig gemacht. Ein geiler Place. Mit einem wahnsinnigen Blick. Als wir ankamen, brach der Himmel auf und die Mitternachtssonne tauchte die Bucht in rotgoldenes Licht und ein Seehund tauchte aus dem Wasser auf und begrüßte uns.
Unsere Erkenntnis des Tages: Russland ist ein wunderschönes Land, es hat leider eine besonders schlimme Form von Homo sapiens.